Komplexe Vorgänge – verständlich erklärt.
Mit diesem Artikel versuche ich mal die komplexen Vorgänge im Pferdekörper möglichst einfach zu erklären, um die Zusammenhänge zwischen der Hufbearbeitung und dem Pferdetraining zu erläutern.
Voraussetzung für ein gutes Training ist, dass das Pferd möglichst entspannt ist und somit Neues leichter auffassen kann.
Wir finden fast bei jedem Pferd folgende Problematik:
Das „High Heel – Low Heel – Syndrom„, dahinter versteckt sich, was beinahe jeder bei seinem Pferd selbst erkennen kann: es hat vorne einen steileren und einen flacheren Huf. Der steilere Huf hat meist höhrere Trachten, welchen dafür sorgen, dass das entsprechende Pferdebein etwas höher steht. Die Folge davon ist, dass das höhere Bein den Pferdekörper zur Seite des flacheren Hufes drückt. Um das auszugleichen beginnt das Pferd die Schultermuskulatur über dem flacheren Huf vermehrt auszuprägen, um sich hoch/gerade zu halten. Auch das können die meisten von euch selbst erkennen, wenn ihr euch hinter euer Pferd stellt und gerade über dem Rücken entlang die Schultern begutachtet (hier liegt übrigens auch häufig die Ursache für einen Sattel der zur Seite rutscht). Je länger die Hufe wachsen, desto mehr verschärft sich dieser Zustand.
Im Huf sitzt das einzige Organ im Pferdekörper welches mit zwei Arterien versorgt wird. Eine verläuft jeweils lateral (außen) am Pferdebein und eine medial (innen). Je nach dem wie das Pferd steht, verändert sich die Durchblutung in den verschiedenen Hufhälften. Zum Beispiel wie im vorgenannten Fall des „High Heel – Low Heel Syndroms“, in dem das Bein des steileren Hufes den Pferdekörper zum flachen Fuß drückt entsteht in beiden Füßen eine „Medio-Laterale Imbalance“ (ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Hufhälften). Die Hufhälfte, die stärker belastet wird, wird über die zuständige Arterie schlechter versorgt und wächst somit langsamer. Entgegengesetzt wächst die Hufhälfte, die regulär versorgt wird normal weiter und der Zustand verschärft sich zunehmend.
Nun haben wir in den Vorderbeinen schon ein ganz ordentliches Ungleichgewicht, welches das Pferd versucht zu kompensieren, um (da Fluchttier) am laufen zu bleiben. Das vorne überbelastete Bein wird durch das diagonale Hinterbein unterstützt. Dadurch resultiert häufig, dass, Probleme, die vorne entstehen, eben auch diagonal in der Hinterhand auftauchen.
In der Steigerung führt nun der Zustand dazu, dass sich das Pferd im gesamten Schultergürtel verspannt. Oftmals versucht sich das Pferd von den Vorderfüßen weg „hoch zu heben“ und entlastet die Vorhand, durch die Hinterhand. Die Folge: Verspannungen im Hals, in der Schulter, früher oder später auch im Rücken.
Wenn wir dieses Szenario weiterführen müssen wir als Folgen damit rechnen, dass die Muskulatur vermehrt mit Nährstoffen versorgt wird, die aber an anderer Stelle fehlen. An einer, über längere Zeit, überlastete Muskultur bilden sich die Faszien zurück, die den Muskel umgeben. Die Faszien sind Gewebeschichten, die unter anderem mit dem neurologischen System des Pferdes verbunden sind und dem Gehirn Informationen über den Zustand des Muskels übermitteln. Über diese Informationen erkennt das Pferd zum Beispiel wo sich welche Gliedmaßen befinden und welche Bewegungen sie ausführen. Sind nun die Faszien in ihrer Funktion eingeschränkt bleiben dem Gehirn im schlechtesten Fall die Informationen aus und das Pferd beginnt seinen Zustand entweder falsch oder garnicht mehr wahrzunehmen. Das Pferd läuft aber trotzdem, denn es ist ein Fluchttier und überlebt nur durch Bewegung.
Jetzt haben wir ein Pferd, dass einen prächtigen Unterhals hat, an Verspannungen in Schulter, Hals, Nacken, Ad- und Abdoptoren usw leidet, seine Vordergliedmaßen schlecht wahr nimmt, den Lendenwirbelbereich und die Muskeln der Hinterhand durch das vermehrte untertreten überbelastet hat, ungleiches Hufwachstum und schlechte Durchblutung in allen vier Füßen, verminderte Atmung als Folge der Verspannungen und die Liste setzt sich im schlechtesten Fall fort.
Nun kommt ein Reiter mit einem Sattel der permanent rutscht und auf den Verspannungen herum reibt und versucht dem Pferd in diesem Zustand etwas bei zu bringen. Wie dieses Szenario weiter geht, kann sich jeder selbst ausmalen.
Nun sind wir hier allerdings schon fast beim „Worst Case“ angekommen.
Mit einer einfachen Verspannung kommen Pferd und Reiter je nach Anforderung noch ganz gut klar, hält dieser Zustand jedoch an und es kommt zu Kompensationen an anderen Stellen, die ebenfalls Schwierigkeiten mit sich bringen, entsteht ein Zustand aus dem sich das Pferd nicht mehr selbst befreien kann.
Nun ist die ZUSAMMENARBEIT von mehreren Fachleuten gefragt. Jemand der den Zustand des Pferdes erkennt; einen Hufschmied (oder alternativen) für die Situationen im Fundament. Einen Osteopath/Physiotherapeut (oder alternativen) für die Verspannungen, Blockierungen im Oberkörper des Pferdes, einen Sattler, um daraufhin die Sattelsituation zu beurteilen, einen Trainer um gegebenenfalls aus Gewohnheit entstandene Gangbilder zu korrigieren etc.
Im Weiteren interessant zu untersuchen: Organe, Blutwerte, Haaranalyse etc.
Das alles sind nur wenige der sehr vielen komplexen Vorgänge, die im Pferdekörper so vor sich gehen. Durch ein bisschen mehr Verständnis für euer Pferd soll dieser Artikel dazu beitragen, die Situation und das Wohlbefinden eurer Pferde zu hinterfragen und im richtigen Moment den richtigen Fachmann um Rat zu fragen.
Um nun den Zusammenschluss zu dem Artikel „gutes Reiten als Heilmethode“ herzustellen:
Gutes Reiten hilft dabei, schon früh Hinweise auf solche Vorgänge zu erfühlen und zu erkennen. Das Pferd richtig zu lesen ist ein Bestandteil guten Reitens.
Nun könnte man im Bezug auf das, was wir gerade gelernt haben, in der Hufbearbeitung darauf schließen, dass wir zum Beispiel einfach die Trachten auf dem steileren Fuß kürzen und beide Füße gleich steil/flach hinstellen. Falsch: Durch die Arbeiten an der Hornkapsel hat der Hufbearbeiter direkten Einfluß auf die Sehnenspannung. Die Sehnenspannung wird aber am anderen Ende durch die Muskulatur reguliert. Stellt man nun einen steilen Fuß zum Beispiel auf anhieb zu flach läuft man Gefahr, dass die Sehnenspannung so stark erhöht wird, dass die Muskulatur am anderen Ende nicht so lang nachgeben kann wie sie müsste. Die folge: Muskelfaserrisse, überbeanspruchte Muskulatur etc.
Zu straffe Sehnen können außerdem die Angewohnheit haben den passiven Stehapparat des Pferdes außer Kraft zu setzten. Was zur folge hat, dass das Pferd nicht ohne Muskelanspannung stehen/schlafen kann und bestimmt keinen ausgeruhten und entspannten Eindruck macht.
Sprich: so einfach wie es zu sein scheint ist es oft leider nicht. Aber der richtige Weg ist, auf das Pferd zu hören. Wenn wir dafür offen sind verrät uns das Pferd ganz deutlich was Sache ist und wie man als Mensch helfen kann.